Menschen und lernlog
Stimmen, Erfahrungen und Tipps aus den Entwicklungsworkshops
Stimmen, Erfahrungen und Tipps aus den Entwicklungsworkshops
Interviews mit Menschen, die an der Entwicklung von lernlog beteiligt sind
Dr. Meike Kricke
Vorständin der Montag Stiftung Jugend und Gesellschaft
2019
Die Montag Stiftung Jugend und Gesellschaft (MJG) engagiert sich für eine chancengerechte Alltagswelt, an der alle Menschen gleichberechtigt teilhaben können und die Kindern und Jugendlichen bestmögliche Entwicklungs- und Bildungschancen eröffnet. Eine zeitgemäße Bildung muss Kindern und Jugendlichen ermöglichen, die erforderlichen Kompetenzen zu erwerben, um ein selbstbestimmtes Leben in einer digitalen Gesellschaft im 21. Jahrhundert zu führen und aktiv daran teilnehmen zu können. Dabei verfolgt die Stiftung einen Ansatz, der unterschiedliche fachliche und praktische Expertisen zusammenführt und vernetzt. Die Entwicklung von lernlog stellt für uns einen Prozess des gemeinsamen Entwickelns und Testens dar, der diesen Anspruch erfüllt und die Bedarfe verschiedenster Perspektiven – von Kindern, Jugendlichen, Lehrkräften, weiteren pädagogischen Fachkräften und wissenschaftlicher Expertise – vereint.
lernlog ist eine Web-App, die selbstorganisiertes Lernen an Schulen unterstützt. Schülerinnen und Schüler können damit eigenständig Selbstlernformate planen, dokumentieren und reflektieren. Lernbegleitenden hilft lernlog, Lernprozesse zu organisieren und Entwicklungsschritte ihrer Schülerinnen und Schüler zu dokumentieren und individuell zu begleiten. Mit lernlog bieten wir nicht nur ein Produkt, sondern auch einen sich stetig weiterentwickelnden Werkzeugkoffer, um Schulentwicklungsprozesse im Sinne neuer Lernformate an Schulen weiter zu implementieren. Dieser Gedanke wird auch durch die lernlog Community gestärkt – ein bundesweit wachsendes Netzwerk –, in der voneinander gelernt werden kann und in dem es regelmäßigen Input von außen gibt.
Mit lernlog haben die Schülerinnen und Schüler ein persönliches Logbuch, das ihr Navigator für ihre Lernprozesse darstellt. lernlog ist gleichzeitig wie eine Schatztruhe, in der meine Erfolge im Lernen und Wachstumsseiten sichtbar werden. Für die Schülerinnen und Schüler verändert sich im Lernen durch das Praktizieren anderer Lernformate mehr Mitbestimmung, mehr Verantwortungsübernahme und ein Transfer vom Wissenskonsumenten hin zum handelnden Individuum in Gemeinschaft. lernlog erleichtert auch, lernförderliche Feedbackprozesse im Lerngeschehen zu verankern und die Möglichkeit für alle Kinder und Jugendliche zu erhöhen, ihre Potenziale zu stärken.
In der DNA von lernlog ist ein konstruktivistisches Lernverständnis verankert. Dieses basiert auf einem beziehungsorientierten Ansatz im Lerngeschehen. lernlog ist als Ergänzung zur persönlichen Lernbegleitung zu verstehen. Es unterstützt Lernbegleitende in offenen Lernformaten in Organisation, Begleitung und Feedbackprozessen und trägt dazu bei, alle Schülerinnen und Schüler auf ihrer Lernreise im Blick zu behalten und in ihrem „Wachstum“ – vom englischen „growth“ abgeleitet – zu begleiten. Außerdem erleichtert lernlog die Kollaboration in multiperspektivischen Teams. Es bietet eine Plattform, in der ich mich mit unterschiedlichen Professionen vernetzen kann, um im Sinne von „welfare teams“ die Schülerinnen und Schüler in ihren Bedarfen, Interessen und Neigungen zu unterstützen.
Weil lernlog nicht nur eine Software darstellt, sondern einen Ansatz von Schulentwicklungsprozessen mit sich bringt: Möchte sich eine Schule auf den Weg machen, wird ihr durch lernlog nicht nur eine Hilfestellung im operativen Lerngeschehen geboten, sondern auch im Hinblick auf die gesamte Organisation. Durch die lernlog Community erlangt jeder Standort praktische Hilfestellungen und Tipps für Schulentwicklungsprozesse, teils noch zu entwickelnde Materialpakete werden zur Verfügung gestellt und durch Feedbackprozesse stetig weiterentwickelt. Dass Veränderung und die Einführung von etwas Neuem zu Beginn mit Aufwand verbunden ist, bedeutet nicht, dass sich dieser Aufwand nicht lohnt. Im Gegenteil: Vor dem Hintergrund der sich stets wandelnden Gesellschaft, ist es unabdingbar, dass sich Schule dahingehend wandelt. Abläufe in der Schule zu erneuern, ist wichtig und geschieht, weil es für alle Beteiligten einen hohen Mehrwert bringen kann. Selbstgesteuertes Lernen hat umgekehrt das Potenzial, in der Lernbegleitung Freiräume zu schaffen, die dann genutzt werden können, zum Beispiel für die individuelle Begleitung.
Die MJG wird als Gesellschafterin die lernlog gGmbH weiterhin begleiten. Sie wünscht lernlog eine möglichst breite Nutzung von unterschiedlichen Schülerinnen und Schülern und ihren Lernbegleitenden und eine wachsende lernlog Community. Somit kann lernlog einen Beitrag leisten, Lernprozesse und Lernbegleitungen im Sinne der Kinder und Jugendlichen im deutschen Schulsystem zu verändern und sie auf die Welt von heute und morgen vorbereiten.
Durch die Beteiligung ganz verschiedener Schulen, Akteurinnen und Akteure ist lernlog wie ein Chamäleon einsetzbar: Es passt sich an die Bedarfe unterschiedlicher Schulen an: in Bezug auf die (digitale) Lernumgebung und Ausstattung, die schulinternen Abläufe und Regularien sowie die Schulentwicklungsprozesse hinsichtlich neuer Lernformate.
Ich denke leider: Teilhabe und Chancengerechtigkeit.
Natürlich. Selbstgesteuertes Lernen mit lernlog setzt genau an dieser Stelle an, Kinder und Jugendliche in ihren Interessen und Neigungen zu stärken. Es unterstützt sie dabei, Möglichkeit zu entdecken, Kompetenzen zu erlangen und Wege zu gehen, um sich einzubringen. Jede und jeder ist durch lernlog gleichermaßen herausgefordert und beteiligt. Das ist ein sehr inklusiver Gedanke.
Ulrike Heuer
Beraterin im lernlog Team, Schulleiterin a.D. und ehem. Leiterin des Schulentwicklungsamtes der Stadt Köln
2019
Im Rahmen meiner Tätigkeit als Schulleiterin und bei der Qualitätsanalyse NRW habe ich immer wieder festgestellt, dass die Vermittlung des Selbstorganisierten Lernens, das allgemein als pädagogisch wichtig angesehen wird, in der Praxis nur wenig umgesetzt werden kann. Wie wichtig die Kompetenz zur Selbststeuerung ist, hat sich nicht zuletzt in der Notwendigkeit des digitalen Unterrichts in den letzten Jahren gezeigt. Die Möglichkeit, an der Verwirklichung dieses grundlegenden Ziels auch nach meiner Pensionierung mitzuarbeiten, habe ich gern ergriffen.
Mit dem Namen assoziiere ich ein individuelles Logbuch des Lernens, auch als eine Art Tagebuch des eigenen Lernprozesses.
Zunehmend mehr Schulen haben ihre Schulentwicklungsschwerpunkte auf die Intensivierung des selbstständigen Lernens gelegt. Dies wird auch durch die Qualitätsvorgaben des Landes gefordert. Nicht zuletzt durch die Inklusion vertieft sich die Erkenntnis, dass Lernprozesse stärker individualisiert werden müssen. Hierzu haben Schulen vielfältige Organisationsstrukturen entwickelt. Gemeinsam ist die Notwendigkeit der Planung und Dokumentation der Lernprozesse. Ein weiterer zentraler Punkt ist das Feedback durch die Lehrkräfte. Hier kann Lernlog eine wichtige Unterstützung zur Vermittlung von selbstorganisiertem Lernen bieten.
Die Schulgesetze der Länder schreiben die Vermittlung des selbstständigen Lernens und der Medienkompetenz vor. Jede Schule muss ein entsprechendes Konzept erarbeiten, dabei wird sie von der Schulaufsicht beraten. Entsprechende Fortbildungsangebote gehören zum Programm.
Lernlog bietet ein partizipativ entwickeltes Programm zur Selbstorganisation des Lernens an, das an zahlreichen Schulen erfolgreich erprobt wurde. Dabei besteht kein kommerzielles Interesse; die wissenschaftliche Begleitung und die Expertise der Montag Stiftung Jugend und Gesellschaft sind Garanten für die fundierte Förderung von Schulentwicklungsprozessen.
Das wesentliche Argument für den Einsatz von lernlog ist aus Sicht der Schulträger die Anforderung aus den Schulen. Diese formulieren den Bedarf und die Notwendigkeit einer bestimmten Software.
Da erhebliche kommunale Gelder in die mediale Ausstattung der Schulen fließen, besteht natürlich ein großes Interesse am effektiven Einsatz. Es gehört zur kommunalen Aufgabe, für alle Kinder gute, vergleichbare Bildungschancen zu ermöglichen. Eine gute Selbstorganisation unterstützt nicht nur eine berufliche, sondern auch eine private erfolgreiche Biographie. Ein wichtiges Argument für lernlog ist, dass die Software ein Instrument zur Erfahrung von Selbstwirksamkeit ist und helfen kann, Bildungsbenachteiligungen abzubauen.
Bei einem Schulentwicklungsprozess mit der Schwerpunktsetzung des selbstorganisierten Lernens ändert sich die Rolle der Lehrerinnen und Lehrer maßgeblich. Dies zeigt sich schon in der Terminologie, die Lehrkräfte werden zu Lernbegleitern. Diese Rollenänderung ist für viele noch nicht selbstverständlich, da sie sich oft im Wesentlichen als fachliche Wissensvermittlerinnen und -vermittler verstehen.
Die Auseinandersetzung mit lernlog in der Lehrkräfteausbildung kann helfen, den Fokus auf die Vermittlung von Lernkompetenzen und Selbstorganisation der Lernenden zu stärken.
Der Schulbau hat sich in den letzten Jahren grundlegend verändert. Hierzu hat die Montag-Stiftung einen maßgeblichen Beitrag geleistet. Die Raumgestaltung ermöglicht einen Unterricht, in dem sowohl instruktiver Frontalunterricht, aber gleichberechtigt viel Raum für selbstorganisiertes Lernen in kleinen Gruppen oder Einzelarbeit besteht. Um diese Freiräume effektiv zu nutzen, bedarf es einer Organisation und Dokumentation, die durch eine entsprechende Lernsoftware gewährleistet werden kann.
Bei Unterrichtshospitationen zum Einsatz von lernlog konnte ich den erfolgreichen Feedbackeinsatz der Software beobachten. Schülerinnen und Schüler arbeiteten selbstständig an ihren Aufgaben, halfen sich oft gegenseitig und die Lehrkraft hatte genügend Zeit, einzelnen ein Feedback während des Unterrichts zu geben. Dies beschreiben Lehrkräfte übereinstimmend als entlastend.
Eine große Entlastungsmöglichkeit sehe ich im gemeinsamen Erarbeiten und Austausch von Unterrichtsreihen.
Eine Schule sollte sich nicht das Ziel setzen, erst anzufangen, wenn alle mitmachen. Der erste erfolgreiche Schritt kann die Erprobung von lernlog in einer Klasse und der Einsatz in einer Jahrgangsstufe sein. Positive Erfahrungen im Kollegium motivieren und regen zum weiteren Ausprobieren an.
An der Entwicklung der Software wurden die Lehrkräfte und die Lernenden beteiligt. Mit wissenschaftlicher Begleitung der Universität Köln hatten alle Beteiligten in den einzelnen Entwicklungsschritten Gelegenheiten zur Erprobung und Feedback. Aus meiner Sicht interessant sind dabei die individuellen Wege der einzelnen Schulen, sichtbar z.B. in unterschiedlichen Terminologien und Organisationsformen.
Der Austausch unter den Entwicklungsschulen darüber ist sehr fruchtbar.
Für die Entwicklung von lernlog hat die Montag-Stiftung erhebliche Ressourcen investiert. Dabei geht es nicht um eine einzelne Software, sondern um die Veränderung der Lernkultur hin zu mehr selbstorganisiertem Lernen. Dieses zukunftsweisende Vorhaben möchte ich mit meinen Erfahrungen aus Schulpraxis, Schulaufsicht, Kommunalpolitik und Stadtverwaltung dahingehend unterstützen, dass es von vielen Schulen genutzt wird und damit entsprechende Schulentwicklungsschritte und eine veränderte Rolle der Pädagoginnen und Pädagogen initiiert.
Die partizipative Entwicklung einer Software mit wissenschaftlicher Begleitung und unter Beteiligung aller schulisch relevanter institutioneller Akteure macht lernlog aus meiner Sicht einmalig.
Die gesellschaftlichen Herausforderungen und der Wissenstand ändern sich in einem immer schneller werdenden Tempo. Anders als früher wissen die Lehrkräfte nicht mehr, wie die Welt aussehen wird, auf die sie die Kinder und Jugendlichen vorbereiten. Auch wenn Wissensvermittlung eine wichtige Grundlage bildet, werden die Lernmotivation und –strategien zentraler. Die aktuelle Diskussion über den Einfluss Künstlicher Intelligenz bildet den zukünftigen Bildungsdiskurs gut ab.
Überlegenswert scheint mir die Frage, inwiefern lernlog auch in der beruflichen Bildung eine Rolle spielen kann. Die Fähigkeit zur Selbstorganisation ist eine wesentliche Kompetenz für eine erfolgreiche berufliche Biographie.
Christoph Okpue
Geschäftsführer der onto digital GmbH, Leiter der Softwareentwicklung von lernlog
2019
Ja, das ist das Schöne an dem dem Projekt: Die Voraussetzungen sind da, um einen partizipativen, ganzheitlichen, agilen Software-Entwicklungsprozess von Scratch aufzusetzen. Das heißt, mit allen beteiligten Stakeholdergruppen die verschiedenen Ebenen zu organisieren, ihre Anforderungen und Expertise einfließen zu lassen und dann die Software entlang dieser Anforderungen und dieses Know-hows zu entwickeln. Das Spannende ist, dass es eben nicht nur eine Programmieraufgabe ist. Softwareentwicklung im ganzheitlichen Sinne bedeutet viel mehr als Programmieren. Es bedeutet, vom Verständnis des Kontextes und der Ziele und der dahinterliegenden Ideen über die verschiedenen Gruppen hinweg alles zusammenzubringen und im letzten Schritt in Software zu gießen. Die Stiftung bietet dafür die perfekte Grundlage und stellt alles zur Verfügung.
Der Prozess ist insofern selber ein Teil der Entwicklung. Er wird immer weiter angepasst und auch jetzt wieder weiterentwickelt. Daraus haben alle Beteiligten viel gelernt: was sie benötigen und wollen, was unser Einfluss ist, was das Aushandeln und Austarieren von Ansprüchen angeht und die Machbarkeit und die Nützlichkeit in der Praxis. Das daraus entstandenen Produkt, das jetzt erst so richtig freigelassen wird in die Welt, haben wir so in einem geschützten Kontext entwickelt, mit einem großen, aber überschaubaren Anwenderzirkel von insgesamt 20 bis 25 Schulen.
Wir haben von Anfang an regelmäßig Entwicklungsworkshops durchgeführt. Dafür haben wir zunächst eine Steuerungsgruppe aufgesetzt, in der die Schulen, die lernlog nutzen und erproben wollten, mit jeweils zwei Personen vertreten sind. Alle zwei bis drei Monate haben wir dann die Entwicklungsworkshops durchgeführt. Am Anfang, um die grundlegenden Anforderungen zu erheben und die wesentlichen Entwicklungslinien und Einsatzzwecke zu verstehen und zu skizzieren und dann zunehmend, um spezifische Anforderungen in die Ausgestaltung zu bringen und in Prototypen zu übersetzen. Die haben wir mit Feedback versehen lassen, haben Anforderungen zusammen priorisiert und sind dann in den nächsten Entwicklungs- und Präsentationszyklus gegangen. Das Iterative ist in dem Gesamtprozess immer angelegt.
Ganz unterschiedlich. Mal war es so, dass die Gruppe tatsächlich konkrete Funktionalitäten beschreiben musste, auch in Form von User Storys, oder sie haben Skizzen angefertigt, die wir dann später von der UI-Designerin in Oberflächen haben übersetzen lassen. Oder wir haben pädagogische Methoden, Methoden des Feedbacks oder Methoden der Reflexion diskutiert und versucht herauszufinden, was sind Minimalanforderungen und was ist Konsens, was können wir tatsächlich programmieren. Die Ebenen der Entwicklung sind vielschichtig. Teilweise sind es technische Aspekte, teilweise pädagogische Aspekte, teilweise visuelle Aspekte, teilweise prozessuale Aspekte. Es ist auch immer wieder wichtig, erklärt zu bekommen von den Lehrerinnen und Lehrern, wie arbeiten sie in der Praxis? Welche Haltung haben sie, wenn sie mit den Schülerinnen und Schülern arbeiten? Wie kann sich diese Haltung im lernlog wiederfinden? Was ist handelbar und nützlich? Um diesen Kontext zu verstehen war unser Entwicklerteam immer vollständig mit dabei bei den Workshops. Wir haben immer Wert darauf gelegt, dass alle Entwickler nicht nur als Programmierer unterwegs sind, sondern an der Schnittstelle zu den Usern und zu den Anforderungen, so dass alle alles mitbekommen und auch mitreden können. So wurden die verschiedenen Disziplinen zusammengeführt. Die Pädagog*innen mit den Entwicklern, die wissenschaftliche Begleitung durch Kersten Reich, die Stiftung als steuernde Instanz.
Die Übersetzung, die Schnittstelle zwischen Schul- und Softwarewelt liegt in der Rolle des Product Owners, den Projektverantwortlichen aus der Stiftung, im Dialog mit mir als Projektmanager der Entwicklung und agilem Projektcoach. Die Herausforderung war dabei weniger die Übersetzung zwischen Anforderung, Pädagogik, Praxis und Software, sondern eher die Aushandlungsprozesse zwischen den Anforderungen der Schulen. Dafür brauchst du eine gute, umsichtige und stringente Moderation, jemand, der sowohl Pädagogik als auch Software und Prozess denken und spielen kann.
Am Anfang sind wir mit ca. fünf Schulen gestartet, aktuell sind es um die 20 bis 22. Der Kreis wurde im Laufe der Zeit erweitert, um eine größere Heterogenität abzubilden. Es sind nicht nur von vornherein schon reformorientierte Schulen, sondern ganz „normale“ Schulen verschiedener Schultypen, darunter ein Gymnasium, ein Berufskolleg, eine Abendschule.
Wir haben uns schon verabredet, für das neue Schuljahr unseren Prozess zu reformieren und anzupassen. Es wird weiter so sein, dass wir Anforderungen erheben, Software ist nie fertig. Aber die großen Entwicklungsstränge sind vorhanden. Es wird mehr um die Weiterentwicklung gehen als um das Erfinden von großen neuen Themen. Das kann und will ich aber gar nicht vorwegnehmen. Es ist im Prozess angelegt, dass die User bestimmen. Wir hören zu und finden einen Prozess, der angemessen ist für einen breiteren Nutzerkreis. Wir brauchen das Feedback aus der Praxis und ich denke, dass wir die User Advisory Group dann anders moderieren und auch anders zum Einsatz bringen werden. Auch die Schülerinnen und Schüler werden wir dabei wieder verstärkt mit einbeziehen.
Wir haben jetzt viel über den Prozess gesprochen, wie eine Software zustandekommt und wer daran beteiligt ist. Die Erfolgsfaktoren gelingender Softwareentwicklung sieht man dann aber am Produkt selbst. Das ist nur dann etwas wert, wenn es in der Praxis seinen Nutzen entfaltet, wenn es für die User einfach und verständlich ist und wenn es ein Problem für sie löst. Das ist aus meiner Sicht der Fall. lernlog ist ein sehr einfaches Tool, das die Schülerinnen und Schüler in den Mittelpunkt stellt und es ihnen erlaubt, ihre Lernprozesse zu organisieren, zu dokumentieren, zu reflektieren. Sie haben damit ein Instrument, das einzigartig ist, weil es wirklich genau dafür gemacht ist.
Prof. em. Dr. Kersten Reich
Wissenschaftlicher Berater im lernlog Team
2019
Junge Menschen sind sehr fit im Erfassen unterschiedlicher Zugänge und Eingänge von Informationen, auf unterschiedlichen Plattformen gleichzeitig. Genau diese Schnelligkeit der Rückmeldung und des Zugangs erwarten sie auch ihr Lernen betreffend. Das bietet lernlog: eine agile Form des Miteinanderarbeitens, -kommunizierens und vor allem des Feedbacks.
Für die Lernbegleitenden ist es die große Chance, in dieser Schnelligkeit den Kontakt nicht zu verlieren und gleichzeitig wichtige erzieherische Funktionen wahrzunehmen. Direktes Feedback zum Beispiel fällt heute allen schwer, Lernenden und Lehrenden. Das ist auch in der Forschung ein interessantes Phänomen. Die Lernenden wollen in ihrer Gruppe weder positiv noch negativ herausragen. Sie bevorzugen die Anonymität des Netzes und der Nachrichten, die nur sie selber empfangen. Gleichzeitig wünschen sie sich echtes, ehrliches Feedback. Über lernlog haben die Lehrkräfte jederzeit einen Zugang, um jeder und jedem einzelnen Lernenden dieses Feedback zu geben – im direkten Austausch und nicht vor der gesamten Lerngruppe.
Lernen ist Interaktion. Als Lehrkraft will ich erkennen, wie meine Schülerinnen und Schüler ticken, wie sie arbeiten und welche Rückmeldungen sie geben. Durch lernlog kriege ich ein gutes Gespür dafür, auch für die, die sich sonst eher zurückhalten, die man nicht erreicht. Das ist die große Stärke: lernlog lässt keinen aus und niemanden zurück. Jeder ist beteiligt und jeder beteiligt sich auch.
An der Heliosschule in Köln sieht man, wie anders ein schulischer Lernort heute aussehen kann. Die Lernlandschaft ist in unterschiedliche Einheiten aufgeteilt. Lerngruppen jahrgangsübergreifend mit einem offenen, großen Raum auf über 400 Quadratmetern, verschiedenen Raumzonierungen, einer Fläche mit 108 Schülerinnen und Schülern, bis zu 20 Lernbegleitenden in unterschiedlichen multiprofessionellen Teams und vielfältiger Interaktion ist natürlich eine Herausforderung. In so einem Raum brauchst du innere Glieder und Verbindungen, die im Kopf stattfinden – der Lernenden wie der Lehrenden. lernlog ist hier ein Bindeglied, das Sicherheit gibt durch verlässliche Routinen. Es ist eine im Digitalen abgebildete gedankliche Ordnung, in der ich mich gut situieren kann, die ich selber aufrufen kann. Das ist wichtig.
In der nächsten Entwicklungsetappe werden wir lernlog noch mehr in der Praxis sehen und weiter Feedback erhalten von Lehrkräften, Lernenden, auch Eltern, wie sie den Einsatz erleben und wie er hilft, das Lernen in der persönlichen Exzellenz jedes Einzelnen zu fördern. Dabei ist vor allem die Einschätzung der Lernenden interessant, welches Ausmaß diese Rückmeldung in ihrem Lernen hat. Das kann sehr vielfältig sein.
Deutschland wird in den nächsten Jahren sehr große Schwierigkeiten haben, die Bildung zu reformieren. Gleichzeitig werden die Fehlstellungen dieses Systems so groß werden, dass wir es reformieren müssen. Wir werden einen Arbeitskräftemangel erleben, den wir nicht hinreichend mit qualifizierten Absolventinnen und Absolventen aus der Schule bedienen können. Und wir lassen viel zu viele Schülerinnen und Schüler fallen und fördern sie nicht hinreichend. Das sind Arbeitsreserven, die verloren gehen. Selbst die, die gut durch das Schulsystem gehen, lassen wir verarmen in der angebotenen Methodik, in ihren Möglichkeiten des Lernens, so dass sie viel zu wenig qualifiziert sind für die Arbeitsmärkte, für die Wissenschaft und Forschung, aber auch für ganz pragmatische Dinge, die eine Gesellschaft braucht. Für die Bereitschaft, zu handeln, sich einzusetzen, Neues zu wagen, Neues zu denken. Wir brauchen in der globalen Welt Menschen, die im digitalen Wandel eigene Schwerpunkte setzen und die Entwicklungen und Ereignisse in dieser Welt auch kritisch hinterfragen können. Wenn wir etwas verändern wollen, müssen wir jetzt beginnen, mit den Schülerinnen und Schülern von heute anders zu arbeiten.
(Aus einem Gespräch mit Kersten Reich beim Entwicklungsworkshop lernlog im März 2023)